Prozesserklärung

Prozesserklärung von Ali Ihsan Kitay

Das Dilemma Individuum / Gesellschaft ist ein Dilemma, das genauso wie der Sinn und die Materie gültig ist. Vergesellschaftung kann ohne Individuum nicht verwirklicht werden. Ohne Gesellschaft ist auch jedes Individuum nicht überlebensfähig. Das optimale Gleichgewicht zwischen Individuum und Gesellschaft stellt ein Dilemma dar. Das Niveau des Verhältnisses und Zusammenhangs miteinander und die Unmöglichkeit der Existenz des einen ohne das andere, zeigt, in welcher Art und Weise das Dilemma ineinander eng vernetzt ist und sich entwickelt hat. Im Grunde genommen hat sich das Dasein, das Leben im Rahmen dieses Dilemmas entwickelt. Ein Mensch ohne Gesellschaft ist ein Anti-Mensch, der isoliert, sich selbst entfremdet ist. Die größte Strafe, die man einem Menschen antun kann, ist, dass man ihn aus der Gesellschaft hinauswirft, die Beziehungen, die Bindungen mit der Gesellschaft bricht, ihn zwingt, ohne Gesellschaft, ohne Beziehung zu leben. Denn der Daseinsgrund des Menschen hängt mit dem Ursprung der gesellschaftlichen Entwicklung zusammen. Seine gesamte Macht bekommt der Mensch aus der Gesellschaft. Das Entwicklungsniveau aller Wissenschaften und Gelehrten hat sich im Zusammenhang mit der Gesellschaft entwickelt. Deshalb kann das Gesellschaftsleben nicht nur zur Deckung von einfachen physischen Bedürfnissen betrachtet werden. Die fundamentale Seite des Menschen, der sich von anderen Lebewesen unterscheidet, ist die Seite der Gedanken und der sozialen Beziehungen. Bei der Entwicklung des Menschen hat die Sozialisierung, die soziale Tatsache eine grundlegende Rolle gespielt.

Damit eine Gesellschaft überleben kann, braucht sie materielle und immaterielle kulturelle Werte, die sie im Laufe der historischen Entwicklung geschaffen hat. Nur durch das Erreichen und die Zusammensetzung dieser Werte ist sie überlebensfähig. Die Gesellschaften, die gezwungen werden, ohne diese Werte zu leben, werden sich nicht über eine Rudelgesellschaft hinaus fortentwickeln können.

Das kurdische Volk ist das älteste Volk der Welt. Dieses Volk wurde stets einer Unterdrückungs- und Gewaltpolitik ausgesetzt. Seit knapp 100 Jahren wird dem kurdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung auf brutalste Art und Weise verweigert. Man hat versucht, diesem Volk die von ihm geschaffenen kulturellen Werte zu entreißen, es von seiner eigenen Realität zu entfernen. Die Bedingungen, um frei leben zu können, hat dieses Volk irgendwie nicht erlangt. Seit Jahren beharrt der türkische Staat auf der Politik der Unlösbarkeit. Da er die Politik der Spannung, Gewalt und Auseinandersetzung verfolgt, macht er die Lösung der Kurdenfrage unmöglich. Das heißt, ohne die Ursache des Konfliktes zu berücksichtigen, werden all die dafür entwickelten Methoden eine Vertiefung der Unlösbarkeit verursachen. Dies wird die Entwicklung eines Chaoszustands mit sich bringen. Dies wird dazu führen, dass noch mehr Leid erlebt wird. Warum wurden so viele Widerstände und Aufstände geführt? Es wurden zwischen 1925 – 1938 zehntausende Menschen ermordet; zehntauschende wurden aus ihrer Heimat vertrieben; Şeyh Sait, Seyit Rıza und noch hunderte Menschen wurden ungerecht hingerichtet; das kurdische Territorium wurde entvölkert. Das heißt, der Hauptgrund dieses Konfliktes liegt in der vom türkischen Staat verursachten Verleugnungs- und Assimilationspolitik.

Das heißt, nachdem der türkische Staat die letzten kurdischen Aufstände niedergeschlagen hatte, ließ er in Kurdistan im wahrsten Sinne des Wortes ein Todesschweigen herrschen. Er war davon überzeugt, dass sich in Bezug auf Kurdistan und Kurden alles erledigt, das kurdische Volk unterdrückt und sich ergeben habe. Es war wiederum eine Phase, in der sich die Jugendbewegung 1968 entwickelte und sich im Aufstieg befand. Es wurden Parteien und Organisationen verboten, weil sie in ihren Programmen und Satzungen die Kurden erwähnten. Die Kurden hätten es nicht für erforderlich gehalten, sich illegal zu organisieren und die Methoden des bewaffneten Widerstands zu wählen, wenn die entstandenen demokratischen Kanäle offen gehalten worden wären. Davon waren also nicht nur die Kurden betroffen, sondern auch die revolutionäre linke Opposition der Türkei, die anstatt des bewaffneten Kampfs vielmehr die legalen und gesetzlichen Widerstandsmethoden ausgewählt hätte. Die revolutionären Jugendführer der Türkei wurden in jener Zeit vollständig vernichtet. Einige wurden im Gefecht getötet, einige wurden hingerichtet, tausende wurden gefoltert und in Gefängnisse gesteckt. Das heißt, die legalen und demokratischen Kanäle der Gesellschaft waren vollständig zugemacht. Wenn in dieser Art und Weise eine grausame Politik nicht angewandt worden wäre, wenn nicht die kulturelle und physische Vernichtung des kurdischen Volkes verfolgt worden wäre, dann hätte auch die PKK-Bewegung nicht entstehen können. In der von der Staatsanwaltschaft verfassten Anklage wird die Unterdrückungs-, Verleugnungs- und Vernichtungspolitik des türkischen Staates, die er gegenüber dem kurdischen Volk angewandt hat, ignoriert. Sie hat sich nicht einmal die Mühe gegeben, allein einen Satz dazu zu formulieren. Siebzehntausend (17.000) unbekannte Morde wurden vom Staat begangen. Viertausend (4.000) Dörfer wurden verbrannt, tausende kurdische Familien wurden aus ihrer Heimat vertrieben, so viele Leben wurden ausgelöscht. Nichts davon ist in die Anklage aufgenommen worden. Warum soll ein Mensch plötzlich ein Leben bevorzugen, das mit so viel Leid und Folter verbunden ist; ein Leben also, das schlimmer ist als der Tod. Man hat uns bereuen lassen, dass wir überhaupt geboren wurden. Kann man ein gesundes und faires Verfahren betreiben, ohne diese Tatsachen zu berücksichtigen?

Es wird zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Freiheitsbewegung seit mehr als dreißig Jahren ein Krieg geführt. Die Ursachen dieses Krieges werden nicht gesehen. Die vom türkischen Staat in Kurdistan angewandten unmenschlichen Praxen hören nicht auf. Ohne die Ursachen des erlebten Krieges zu verstehen und zu erörtern, kann die Entwicklung eines gesunden Friedens und einer Lösung nicht erreicht werden. Die Freiheitsbewegung des Terrorismus zu beschuldigen, sie von der Kurdenfrage losgelöst zu bewerten, ist meiner Ansicht nach falsch. Diese Herangehensweise wurde jahrelang praktiziert; deshalb wurde großes Leid und Schmerz erlebt. Die Lösung des Konfliktes kann erreicht werden, wenn die historischen und aktuellen Seiten der Kurdenfrage in Betracht gezogen werden. Danach kann dann eine Lösung entwickelt werden. Anderenfalls wird es dazu führen, dass noch mehr Leid erlebt werden wird.

Das Lösungsmodell, das die kurdische Bewegung seit Ende der 1990er Jahre entwickelt hat, ist der sog. Demokratische Föderalismus bzw. die Demokratische Autonomie. Es beruht auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Ein Recht, das bereits in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist und das in vielen anderen Erklärungen der UN bestätigt wurde. In einer Vielzahl von Veröffentlichungen und Stellungnahmen wurde dies deutlich gemacht.

Kernelement des Modells soll eine neue türkische Verfassung sein, die dem kurdischen Volk und anderen ethnischen Minderheiten die gleichen Lebensrechte, den gleichen politischen Status und die gleichen ökonomischen, sozialen und kulturellen Möglichkeiten wie dem türkischen Volk einräumt. Die bestehenden Staatsgrenzen werden anerkannt und sollen somit unberührt bleiben, so dass im Rahmen des demokratischen Föderalismus die Regionalregierung auch unabhängig von der Zentralmacht Beziehungen und Kooperationen zu den Kurden in Syrien, Irak und Iran aufbauen kann. Ich bin davon überzeugt, dass der gegenwärtige Kampf der kurdischen Befreiungsbewegung legitim ist und in Einklang steht mit allen völkerrechtlichen Bedingungen.

Ohne die Beziehung von Ursache – Wirkung herzustellen, ohne die historischen und aktuellen Seiten des Konfliktes in Betracht zu ziehen, werden die dazu entwickelten Lösungen keineswegs zum Erfolg führen.

Es gibt auslösende Gründe, weshalb auch ich mich im Alter von 16, 17 Jahren der PKK anschloss. Ich hätte wie jeder Mensch ein normales Leben bevorzugt, wenn es keine Unterdrückung, Folter und Verleugnung gäbe, wenn die Menschenrechte und Freiheiten respektiert würden. Ich bin kein Mensch, der lebensmüde ist. In Gesellschaften, in denen die Voraussetzungen eines freien und würdevollen Lebens nicht gegeben sind, entwickelt sich die Suche nach etwas anderem. Mein Haltung hat sich im Zusammenhang mit der Herangehensweise des türkischen Staates an die Kurdenfrage entwickelt. In Gesellschaften, in denen Unterdrückung und Gewalt herrschen, wird sich sowohl eine Suche entwickeln als auch eine ernsthafte Reaktion auf die Unterdrückung. Noch in jungen Jahren habe ich Unterdrückung und Foltermethoden erleben müssen und wurde in Haft genommen.

Es ist offensichtlich, dass durch solche Praktiken der Mensch sich auf eine Suche begeben wird. Es gibt eine gewisse Altersgrenze, in der jeder Mensch nach sich selbst sucht und die Gesellschaft hinterfragt. Es ist eine Zeit, in der der Mensch mit Hinterfragungen und Schwankungen konfrontiert ist; es ist eine Phase, in der er auf der Suche nach Antworten ist. Wer bin ich, was bin ich? Ausgehend von dieser Definition werden Fragen gestellt über die Stellung des Menschen im Universum, das Niveau des Zusammenhangs und die Beziehung mit der Gesellschaft, das Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft. Es ist eine Phase, in der der Mensch versucht, Ideen zu definieren und zu konkretisieren. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich artikulieren will und sich dafür auf eine Suche begibt. Denn man kann nur dann ein sinnvolles Leben leben, wenn man die Macht des Sinnes erreicht. Es ist ein Suchprozess, in dem man danach fragt, wer man ist, wo man herkommt, wie man leben soll. Das sind im Grunde genommen die Momente, wo in der Gedankenwelt des Individuums die Widersprüche intensiver werden. Das Dreieck: die Gesellschaft, das Individuum, das Leben. Es ist eine Phase, in der die Suche des Individuums in die Tat umgesetzt wird. Das heißt, alles beginnt im Leben; alles geht im Leben zu Ende. Wo das Leben verloren geht, entwickeln sich das Verderben und die Entfremdung. Die Politik der Unterdrückung und Gewalt herrscht dann in allen Bereichen der Gesellschaft.

Was ich betonen will, ist folgendes: Ich bin in einer Gesellschaftsstruktur aufgewachsen, in der in dieser Art und Weise Widersprüche und Konfrontationen erlebt wurden. Diese Realität hat mich mit der PKK-Bewegung bekanntgemacht. Mein Kontakt begann in den Jahren der Mittel- und Oberschule und entwickelte sich danach weiter. Ich erlebte eine Phase in meinem Leben, die ich als Wendepunkt bezeichnen kann. Ich war an dem Punkt angekommen, grundlegenden Entscheidungen zu treffen, die mein Leben verändern würden.

Ich überlegte mir, mit wem ich die Entscheidung, die ich getroffen hatte, besprechen solle. Letztlich habe ich die Entscheidung, die ich getroffen hatte, mit meiner Mutter besprochen. Um meine Mutter überzeugen zu können, gab ich mir viel Mühe. Sie hat sich nicht gegen meine Entscheidung gestellt, auch wenn sie letztlich nicht dafür war. Natürlich war dies, was sie mir mitgegeben hatte. Was für ein großes Erdbeben sie in ihren Gefühlen erlebte, konnte ich nur vermuten. Das heißt, du trennst dich für immer und wirst sie nie wieder sehen. Das sind die schwierigsten Momente im Leben eines Menschen, die er erlebt. Ich kann mich noch daran erinnern, welchen Satz ich formulierte, als ich mich von der Mutter trennte: „Es ist mir bewusst, dass ich dir großes Leid antue, aber ich möchte, dass du mir verzeihst“.

Meine Mutter hat aus diesem Grund sehr großes Leid erlebt. Nach der Zeit der Oberschule ist mein Kontakt zu der Familie vollständig abgebrochen. Viele Jahre sind so vergangen. Meine Mutter hat immer mit dem Schmerz der Sehnsucht nach dem Kind weitergelebt. Sie hat sich immer aufrecht gehalten; sie hat sich vor niemanden gebeugt. Sie war eine sehr stolze Frau. Aus diesem Grund habe ich eine große Verbundenheit zu ihr. Als sie starb, konnte ich nicht einmal zu ihrer Beerdigung gehen. In Gesellschaften wie der unseren, die bewusst rückständig gelassen wurden, haben sich die Sozialisierung und die soziale Struktur vollständig unterschiedlich entwickelt. Die Betrachtungen der Frau und die Herangehensweise an die Rolle der Frau sind sehr problematisch. Es hat sich eine Logik durchgesetzt, in der die Frau nicht akzeptiert, sondern nahezu als eine Sache, als ein Objekt betrachtet wird. Es ist eine männerdominierte Gesellschaft, in der Unterdrückung und Diskriminierung weitgehend verbreitet ist. Aus diesem Grund ist die Darstellung der Frau stets negativ. Diese Sichtweisen haben mich dazu geführt, dass ich sie innerlich nicht akzeptierte. Diese führte dann zur Entwicklung einer Reaktion. Als Folge dieser Reaktion hat sich bei mir eine besondere Aufmerksamkeit und eine besondere Verbundenheit mit meiner Mutter entwickelt. In der Regel sind die Kinder in Gesellschaften wie unserer dem Vater verbunden und zugeneigt. Bei mir fing es jedoch an, sich genau das Gegenteil zu entwickeln. Bereits in meinem Kindesalter stellte ich mich gegen Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Dagegen übte ich keine Toleranz. In meinem Leben waren die Bedeutung und der Wert meiner Mutter anders. Diese hat sich bei mir als Grundeinstellung entwickelt, in welcher Weise ich der Frau gegenübertrete.

Vor diesem Hintergrund begann mein Abenteuer, in die Berge zu gehen. Was ich noch wichtig finde, und mich in meinem Leben sehr beeinflusst hat, war die Familienstruktur und die Unterdrückung, Folter und Einschüchterungspolitik des Staates gegen meine Familie. Die Familie Kıtay hat in Bingöl eine breite und einflussreiche Familienstruktur. Eine Familie, die mit der Realität des kurdischen Volkes verbunden ist und deren patriotische Gefühle sehr stark sind. Aufgrund dieser Haltung der Familie wird sie im Mittelpunkt der Gewalt und Unterdrückungspolitik des Staates stehen. Es gibt keine Angehörigen der Familie mehr, die nicht von der Anwendung der Folter und Unterdrückungspolitik des Staates beeinflusst oder betroffen sind. Einige wurden getötet, einige wurden tagelang gefoltert, einige wurden in Haft genommen. Die Familie hat eine solche grausame Behandlung erleben müssen. Diese Anwendungen des Staates haben die Familie bis an die Schwelle der Vernichtung gebracht. Infolgedessen hat die Mehrheit der Familienmitglieder Bingöl verlassen müssen. Einige mussten in die Großstädte, einige auch nach Europa migrieren. Einem Individuum und Mitglied einer Familie, an dem in dieser Art und Weise grausame Methoden angewandt wurden, hat man keine weitere Lebenswahl gelassen, außer in die Berge zu gehen.

Aus den oben erwähnten Gründen schloss ich mich der PKK an. Ich verbrachte mehrere Jahre in den Bergen. Meine Mutter wird innerhalb dieses Zeitraumes mehrere Male zur Wache geladen. Sie sagen: „Bei einem Gefecht ist dein Sohn getötet worden. Wir wollen, dass du kommst und ihn identifi­zierst“. Es soll also nicht sehr schwer sein, die Gefühle und das Leid des Herzes, die sie bei jeder Identifizierung er­lebte, nachzuvollziehen. Während auf der einen Seite solche Vorfälle stattfanden, war die Familie auf der anderen Seite ständig der Bedrohung und Unterdrückung ausgesetzt. Dies habe ich später in Haft von meiner Mutter erfahren müssen. Dies betone ich nur deshalb, weil ich verständlich machen will, in welche Lage die Familie psychisch und seelisch versetzt wurde. All diese angewandten Methoden verfolgen das Ziel, die Familie seelisch und psychisch zu zerstören. Das sind die Sonderkriegsmethoden, die dafür entwickelt wurden.

Was ich zunächst betonen will, ist folgendes: Was ich unten erzählen werde, entspricht nur der einfachsten Form dessen, was ich in der Realität erlebt habe. Ich wurde 1991 verhaftet. Man hat an mir während der Verhaftung Methoden angewandt, deren Beschreibung fast unmöglich ist. Mit verbundenen Augen hat man mich ins Verhör genommen. Während der Phase des Verhörs hat man mich mit niemandem sprechen lassen. Meine Mutter und die weiteren Angehörigen der Familie stellten mehrmals bei zuständigen Behörden einen Antrag auf Besuchserlaubnis. Bei jedem Versuch wurden die Anträge abgelehnt. Soweit ich mich daran erinnern kann, befand ich mich bis zum letzten Tag des Verhörs mit verbundenen Augen in einer dunklen Zelle. Die Zeit verging nicht, als ob sie stehengeblieben wäre. Es ist weder die Nacht noch der Tag bekannt. Du hast keine Ahnung, was sich um dich herum entwickeln wird. Du kannst nicht vermuten, wann und wo dir etwas zustoßen wird. Jeden Augenblick verbringst du im Warten. Du kannst an nichts anderes denken. Dein psychischer Zustand entwickelt sich vollständig nach diesem Muster. Du weißt nicht, wann du zum Verhör geholt wirst. Du weißt nicht, was dir dort zustoßen wird. Diese Art von Denkstruktur umzingelt dich fest. Man hat mich in einer Zelle festgehalten, wie in einem sehr kleinen Sarg. Das Guckloch der Tür wird oft geöffnet, geschlossen. Ich hörte Gespräche, Stimmen von Stöhnen. Das Geschreie und die Stimmen unter Folter erzeugten überall in der Zelle ein Echo. Mit verbundenen Augen hat man mich nackt in engen Orten gehen lassen, mich die Treppen hinaufsteigen und hinuntergehen lassen. Man hat mich beschimpft und in einer Vielzahl von Gesprächen gesagt: beuge deinen Kopf, geh langsam, dreh dich nach rechts, dreh dich nach links, Vorsicht, du fällst usw. Wiederum während des Gehens hat man mit Fäusten, Fußtritten und unterschiedlichen Gegenständen auf bestimmte Stellen des Körpers geschlagen. Ich wurde also psychisch furchtbaren Methoden ausgesetzt.

Außerdem hat man bei mir die schwersten Foltermethoden angewandt: Palästinenser-Haken, an den Haken hängen, beim Aufhängen kaltes Wasser mit hohem Druck auf mich spritzen, Elektroschocks, Zerquetschen der Hoden, bestimmte Stellen des Körpers mit Zigaretten verbrennen, so dass die Spuren der Verbrennung noch zu sehen sind. Öfter nackt rausgebracht zu werden, draußen bei Kälte nackt warten lassen, mit dem Tode bedroht, auf den Boden legen und daneben eine Waffe abfeuern. Wiederum gab es Bedrohungen wie: wenn du nicht redest, werden wir an dir in Anwesenheit deiner Familie jede Methode anwenden.

Wenn man mich zur Folter mitgenommen hatte, dauerte diese bis ich ohnmächtig wurde. Als ich die Augen wieder aufmachte, befand ich mich in der kalten Zelle, die wie ein Sarg aussah. Diese Fol­termethoden wurden an mir bis auf die letzten Tage angewandt. Nachdem sie durch die Foltermethoden kein Ergebnis erzielt hatten, nahmen sie mich in einer Nacht aus meiner Zelle mit und brachten mich zu einem Ort außerhalb der Stadt. Sie ließen mich auf den Boden legen und feuerten neben meinem Kopf eine Waffe ab. Dann ließen sie mich los und sagten, ich solle weglaufen. Das haben sie deshalb gemacht, weil sie mich töten wollten. Ich habe aber weder die Kraft gehabt, wegzulaufen und noch den Versuch unternommen, wegzulaufen. Die Einsamkeit und das kalte Gesicht des Todes habe ich miteinander erlebt. Im Grunde genommen ist der Tod in diesen Momenten eine Befreiung für dich. Das alles muss nur ein Traum sein, dachte ich mir manchmal. Mit den an mir angewandten Foltermethoden hat man das Ziel verfolgt, die Hoffnung und die Überzeugung/Glaube vollständig zu beseitigen. Natürlich physisch kannst du es nur bis zu einem gewissen Punkt aushalten. Die angewandten Foltermethoden sind also Methoden, die die physische Verfassung nicht aushalten kann. Man kann nicht mal einen einzigen Tag diese Methoden aushalten, wenn man keine Überzeugung und Wille hätte.

Folgendes fragte ich mich: Bis wann kann ich noch diese Foltermethoden aushalten; ich leistete einen außergewöhnlichen Willenskampf, damit ich mir selbst, meinen Gedanken nicht zuwiderlaufe. Selbstverständlich hatten diese Anwendungen ein Ziel: man will, dass man sich ergibt. Mit der Zerstörung der Überzeugung, Wille und Lebenshoffnung wird man gezwungen, sich zu verraten. Eine solche Lebensauswahl wird dir angeboten. Wie wird es also dem Mensch psychisch ergehen, nachdem er auf solche Art den schwersten Foltermethoden ausgesetzt wurde. Kann er sich in seinem seelischen Zustand, in seiner Gefühls- und Gedankenwelt normal verhalten? Was diese genau bei Menschen im Unterbewusstsein entwickeln und was für einen Einfluss sie verursachen, ist schwer auszudrücken. Das Unterbewusst­sein trägt die Eigenschaft eines lebendigen Archivs von Erlebnissen, die ein Mensch erlebt. Sogar kleinste Details von Erlebnissen hält der Mensch im Gedächtnis stets lebendig. Der Mensch ist also ein Lebewesen, dessen psychische Seite schwer wiegt. Er ist offen für Beeinflussung und Reaktion. Es ist nicht möglich den Menschen zu verstehen, ohne dessen Psyche und dessen Gefühls- uns Gedankenwelt enträtselt zu haben. Der Mensch selbst ist ein Lebewesen, das zwischen dem Quantum und dem Kosmos steht. Er ist relativ. Er ist offen für Beeindruckung, Beeinflussung und Reaktion. Ohne die Ursache–Wirkung in Betracht gezogen zu haben, können weder der Existenzgrund noch die Persönlichkeitsstruktur des Menschen enträtselt werden. Einstein sagt: „Den Menschen zu enträtseln ist schwieriger als das Atom zu zerlegen“.

Ja, in so einem psychischen Zustand wurde ich halbtot ins Gefängnis zurückgebracht. Nach Untersuchung des Gefängnisarztes wurde mir bescheinigt, dass ich schwer gefoltert wurde. Ich konnte mich lange Zeit von der Wirkung dessen nicht befreien, was ich gesehen und erlebt hatte. Ich erlebte immer wieder dessen Wirkung. Ich möchte betonen, dass es mir sehr schwer fällt, diese Sätze zu schreiben. Denn man erlebt die Erlebnisse noch einmal. Man wird von jeder Erzählung ernsthaft be­einflusst. Man geht wieder zurück in die Vergangenheit, zu den Erlebnissen. Die Erlebnisse werden vor meinen Augen wie ein Film wieder lebendig. Die Wirkungen der psychischen und physischen Zerstörung, die während des Verhörs entstanden, konnte ich lange Zeit nicht überwinden. Aufgrund der Beschwerden habe ich manchmal mit meiner Persönlichkeit und Gesundheit ernsthafte Schwierigkeiten, die in dieser Zeit entstanden sind. Man kann sich kaum vorstellen, wozu das führen wird, wenn man dazu noch die Haftbedingungen hinzufügt, abgesehen von den in meiner Gefühls- und Seelenwelt entstandenen Zerstörungen. Man hat weder die Möglichkeit noch die Bedingungen, um das alles zu überwinden.

Das Leben im Gefängnis hat seinen eigenen Charakter. Es ist ein Ort, in dem alles beschränkt ist. Es ist so, als ob dein Leben in eine Streichholzschachtel hinein gezwängt ist. Es ist ein Ort, in dem die Unterdrückungs- und Foltermethoden weit entwickelt sind und ernsthafte Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Man kann sich nicht vorstellen, dass man mit der bestehenden psychischen Verfassung und mit so einem seelischen Zustand noch mehrere Jahre die Haftbedingungen ertragen kann. Ich machte mich auf die Suche, wie ich von hier rauskomme. Der Gedanke an Flucht aus der Haft entstand in dieser Phase bei mir. Ich machte mir Gedanken über die Methoden der Flucht. Ich war vollständig nur damit beschäftigt und konnte an nichts anderes denken. Letztlich haben wir mit einer Gruppe von Freunden angefangen, einen Tunnel zu graben. Nach einjähriger Arbeit sind wir am 16. Februar 1993 mit 18 Freunden aus dem Gefängnis Nevşehir geflüchtet. Einige wurden nach der Flucht festgenommen, einige wurden auch getötet. Ich wurde in einer Phase festgenommen, in der die “unbekannten Morde” intensiver stattfanden, die Unterdrückungs- und Folterpolitik zunahm, die Dörfer verbrannt wurden, die Straßenhinrichtungen massiv stattfanden .

Dieses mal glaubte ich nicht mehr daran, dass ich aus dem Verhör lebend herauskommen würde. Aus diesem Grund hatte ich gar keine Hoffnung mehr, was die Zukunft anbelangt. Bezüglich meiner Verhaftung hatte man weder eine amtliche Erklärung abgegeben noch offiziell anerkannt, dass ich verhaftet worden war. Beim Verhör hat man mir folgendes gesagt: “Du existierst offiziell nicht, du wurdest nicht verhaftet, dieses Mal kommst du hier nicht lebend raus, wir werden bei dir alle möglichen Methoden anwenden”. Weiterhin hat man Bedrohungen ausgesprochen wie: “Wir werden dich neben dem Dicken begraben”. Die mir bei der Verhaftung 1991 angewandten Foltermethoden wurden noch systematischer und regelmäßiger weitergeführt. Erst nach zehn Tagen hat man offiziell bekanntgegeben, dass ich verhaftet worden war Hier werde ich auf die Einzelheiten des Verhörs nicht eingehen. Ich benenne es nur stichwortartig. Über den Fluchtvorfall von 1993 wurde in der türkischen Presse umfassend berichtet. Die erforderlichen Informationen dazu befinden sich in den Pressearchiven von 1993.

Ja, ich wurde nach vielen Jahren entlassen. Die schönsten Jahre meines Lebens habe ich im Gefängnis mit Unterdrückung und Folter verbracht. Ich habe mein Schicksal tausendmal dafür verflucht, dass mich der türkische Staat lebend verhaften ließ. Ich hätte niemals daran geglaubt, dass ich nach so vielen Schwierigkeiten lebend davon komme. Meine Jugend habe ich verloren. Einige sehr gute Freunde habe ich verloren. Einige habe ich im Gefängnis zurückgelassen. So kam ich raus. Ich weiß nicht, wie man dieses Gefühl und den seelischen Zustand beschreiben soll. Ich habe weder die Kraft zu erzählen noch lassen meine Gefühle es zu. Manchal suchte ich den Tod. Man hat mich bereuen lassen, geboren worden zu sein. Hoffnung, Überzeugung und Wille hat mich aber immer am Leben gehalten. Dass ich draußen bezüglich der Anpassung Probleme haben würde, konnte ich bereits vermuten. Draußen konnte ich mich irgendwie nicht anpassen. Es ist offensichtlich, dass der Mensch unvermeidlich eine andere Form annehmen wird, wenn er eine längere Zeit im Gefäng­nis verbracht hat. Besonders hatte ich ernsthafte Schwierigkeiten, soziale Beziehungen herzustellen. Man entwickelt sich als asozial, wenn man über eine längere Zeit ohne soziale Beziehungen / Bindungen leben musste. Man erlebt eine unbeschreibliche Einsamkeit.

Im Grunde genommen ist es ein neues Leben für dich. Wie kann ich mich in dieses Leben integrieren? Man empfindet alles anders. Wie ein wilder Mensch erlebt man Schwankungen. Während man versucht, sich auf der einen Seite anzupassen, erhält man auf der anderen Seite direkt und indirekt Bedrohungsmitteilungen. Du findest kein sicheres Milieu/ keinen sicheren Ort, um überleben zu können. Die Wahrscheinlichkeit ist da, dass dir wieder alles zustoßen kann. Das kannst du sehen und spüren. Du kannst verschiedene Sachen erleben. Du kannst wieder ins Gefängnis gebracht werden. Dieses sind sowohl die Grundlagen als auch die praktischen Konsequenzen, die du erlebt hast. Und du kannst sie sehen.

Ich blieb drei Monate in Bingöl. Innerhalb dieses kurzen Zeitraumes wurde ich drei Mal in Gewahrsam genommen, auch einmal zusammen mit meinem Cousin Yavuz Kıtay, der Provinzvorsitzender der DEHAP in Bingöl war. Aufgrund der Festnahmen und Bedrohungsmitteilungen habe ich Bingöl verlassen müssen. Im Rahmen des „Vereins der Angehörigen politischer Gefangener“ habe ich in Istanbul Aktivitäten durchgeführt. Dort wurde ich auch aufgrund meines Vor- und Nachnamens mehr als einmal in Gewahrsam genommen. Bei jeder Routinekontrolle hat man mich sogar festgehalten und belästigt.

Was ich betonen will, ist folgendes: wenn die Voraussetzungen in der Türkei gegeben wären, um dort blei­ben zu können, dann wäre ich nicht woanders hingegangen und hätte auf keinen Fall bevorzugt, an einem anderen Ort zu leben. Der Grund, warum ich nach Europa kam, bestand nicht darin, weil ich sehr willig war. Als Folge der erlebten Bedingungen war ich gezwungen, nach Deutschland zu kommen. Viele der mit mir zusammen aus der Haft entlassenen Freunde wurden wieder verhaftet. Ich habe auf gar keinen Fall die Möglichkeit gefunden, in den Verhältnissen der Türkei weiterleben zu können. Wenn die Voraussetzungen des Lebens gegeben wären, hätte ich keineswegs mein Land verlassen und woanders gelebt. Na­türlich bist du lange Zeit von deiner Familie, von Menschen, die du liebst, fern geblieben. Du denkst nicht daran, zum zweiten Mal fernzubleiben und dich von ihnen zu trennen. Kann ein Mensch es aushalten, von der Heimat, von der Familie, von geliebten Menschen, die ihm fehlen, ge­trennt zu leben? Kann er diese Trennung freiwillig und wünschend bevorzugen? Ist dieses nicht die schwierigste Sache der Welt?

Aus den oben genannten Gründen habe ich meine Heimat verlassen müssen. Nachdem ich nach Deutschland kam, stellte ich kurze Zeit später einen Asylantrag. Ich wurde vom Bundesamt anerkannt und bekam somit einen Aufenthalt. Die psychischen Probleme, die ich erlebte, bekam ich ärztlich attestiert. Das Attest befindet sich in meiner Asylakte. Nachdem ich nach Deutschland kam, wohnte ich zunächst in Demmin, danach in Hamburg.

Am 12. Oktober 2011 wurde ich in Hamburg verhaftet. Während der Festnahme wurde ich nicht schlecht behandelt. Ich hatte zu dem zuständigen Polizeibeamten, der mich festnahm, folgendes gesagt: „Sie haben sich nicht wie die türkische Polizei verhalten; die Art der Verhaftung fand im Rahmen des menschlichen Verhaltens statt“. Da wir nicht gewöhnt sind, in dieser Art und Weise verhaftet zu werden, kam es mir etwas seltsam vor. Seit meiner Festnahme befinde ich mich in Dammtor in der Untersuchungshaft. In der Dammtor-Untersuchungshaft sind die Bedingungen für Häftlinge sehr unterschiedlich. Auf jedem Quadratmeter herrschen Menschenrechtsverletzungen. Es wurde an mir acht Monate die härteste Politik der Isolation angewandt. Nach sieben Monaten durfte ich einmal die Woche zwei Stunden einen Deutschkurs besuchen. Die Teilnehmerzahl des Kurses betrug zwischen vier oder fünf Personen. Dieser Sprachkurs fand auch nicht regelmäßig statt. Außer von diesem habe ich von anderen sozialen Aktivitäten keinen Gebrauch machen können. Ich befand mich in der Untersuchungshaft im Block B2, in dem die Sondersicherheit und Aufsicht strenger waren. Die Abteilung, in der ich mich zuvor befand, unterscheidet sich von den restlichen Abteilungen der Untersuchungshaft. In dieser Abteilung befinden sich die Häftlinge, deren Lage als „bedenklich und schwerwiegend“ eingestuft wurde. Auch diejenigen Häftlinge, die in der Untersuchungshaft Disziplinstrafen erhielten, werden in dieser Abteilung untergebracht.

In dieser Abteilung hast du nicht die Möglichkeit, mit irgendjemandem zu sprechen. Seitdem ich hier bin, werde ich allein festgehalten. 23 Stunden des Tages verbringe ich in der Zelle. Nur eine Stunde am Tag werde ich zum Hofgang gebracht. Außer diesem verbringe ich die gesamte Zeit in der Zelle. Die ersten vier Monate haben sogar die Aufseher in der Kantine für mich eingekauft und es mir gebracht. Zum Hofgang wurde ich allein gebracht. Ich kann nicht von den sportlichen Aktivitäten in der Untersuchungshaft Gebrach machen. In der Untersuchungshaft hat jeder Untersuchungshäft­ling das Recht, sich im Monat zwei Stunden mit seiner Familie zu treffen. Dagegen darf ich sie eine Stunde im Monat an einem geschlossenen Ort unter Polizeiaufsicht treffen. Die Zelle, in der ich mich befand, unterschied sich von anderen Zellen. Das Fenster der Zelle wurde mit einem kleinen gelöcherten Blech zugemacht. Dadurch kannst du nicht gut sehen. Deswegen habe ich jetzt Sehbeschwerden und Sehstörungen. Die meisten der Häftlinge sind seelisch und psychisch von der Praxis der Dammtor-Untersuchungshaft in einer Art und Weise beeinflusst, dass sie an Depressionen leiden.

Aufgrund der Praxis haben mehrere Häftlinge Selbstmord begangen sowie mehrere Personen auch versucht, sich das Leben zu nehmen. Das heißt, aufgrund von Selbstmord verlieren jedes Jahr durchschnittlich mehr als zehn Häftlinge ihr Leben. Die in der Dammtor-Untersuchungshaft angewandten Methoden sind keineswegs normal. Außerdem wurde niemand, außer mir, unter solchen Bedingungen festgehalten. Dies habe ich nur betont, um die Dimension der Isolation verständlich zu machen. Die Aufgabe der Haftanstalten besteht darin, die Gefangenen und Verurteilten wieder in die Gesellschaft einzugliedern; und nicht, sie zum zweiten Mal zu bestrafen. Man hat an mir in der Türkei Foltermethoden angewandt, die für das Gedächtnis eines Menschen unvorstellbar sind. Diese habe ich erlebt. Die Wirkungen dieser Folter habe ich mehrere Jahre erlebt und sie dauern immer noch an. Während ich versuche, mich davon zu befreien, erlebe ich aufgrund der hier angewandten Isolationspolitik ernsthafte Zerstörungen, die meine Persönlichkeit sehr beeinflussen. Solche Anwendungen werden Folgen haben, die man nicht wiedergutmachen kann. Achteinhalb Monate wurde ich in der Abteilung B2 festgehalten. Man hat mich innerhalb dieses Zeitraumes fast die Hölle erleben lassen. Ohne Überzeugung und Wille hätte ich diese Bedingungen nicht überleben können. Die in der Dammtor-Untersuchungshaft durchgeführten Bedingungen beinhalten auf keinen Fall die Respektierung der Menschen­rechte. Es handelt sich hierbei definitiv um eine Menschenrechtsverletzung. Folgendes will ich zum Ausdruck bringen: Die Dammtor-Untersuchungshaft ist eine ernsthafte/schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte durch den deutschen Staat. Durch das Gericht will ich sowohl dagegen eine Strafanzeige stellen als auch folgendes zum Ausdruck bringen: Bezüglich dieses Themas will ich all die betreffenden Institutionen und Persönlichkeiten, die auf der Seite der Menschenrechte stehen, auffordern, dass sie dafür noch mehr Sensibilität und Verantwortung zeigen.

Als Fazit möchte ich folgendes betonen: Durch die vom türkischen Staat angewandten Gewaltmethoden kann die Kurdenfrage niemals gelöst werden. Es ist im Endeffekt eine große Katastrophe für beide Völker. Weiterhin auf Gewalt zu beharren, bedeutet noch mehr Unlösbarkeit, noch mehr Chaos. Welche Gesellschaft hat ihre Probleme durch Gewaltmethoden gelöst? Gibt es in der Geschichte dafür ein Beispiel? Die sinnlose Gewalt hat sich als Hauptgrund der erlebten Probleme herausgestellt. Diese Logik selbst ist ihr eigenes Problem geworden. Durch den vom türkischen Staat in Kurdistan geführten schmutzigen Krieg wurden tausende Familien geschädigt. Im Mittelpunkt des erlebten Leids und Schmerzes liegt der Unwille des türkischen Staates das Problem lösen zu wollen und diese Logik der Gesellschaft als Lösungsmodell aufzuzwingen. Gegenüber dem kurdischen Volk wird in den letzten zwei Jahren eine Unterdrückungspolitik vollständig angewandt. Tausende kurdische Politiker wurden verhaftet. Mehr als hundert Journalisten und Anwälte wurden in Haft genommen. Mit chemischen Waffen wurden fast zweihundert Guerillas getötet. In Roboski wurden 34 zivile kurdische Menschen von türkischen Kriegsflugzeugen ermordet. Die schweren Isolationshaftbedingungen gegenüber dem kurdischen Volksführer Abdullah Öcalan dauern seit fast einem Jahr an. Diese unmenschliche Herangehensweise des türkischen Staates führt die Gesellschaft ins Chaos. Der türkische Staat akzeptiert außer der Gewaltpolitik keine weitere Lösungsalternative. Damit nicht noch mehr Leid und Schmerz erlebt wird, sollen die internationalen Institutionen und Persönlichkeiten gegenüber den in der Türkei erlebten unmenschlichen Anwendungen nicht mehr schweigsam bleiben. Sie sollen sich so schnell wie möglich dafür einsetzen, dass dieser sinnlose Krieg aufhört und sich eine Phase des Friedens entwickelt.

Hochachtungsvoll Ali Ihsan Kıtay

Die Vollständigkeit und Richtigkeit der Übersetzung wird beglaubigt

Hamburg, den 13.08.2012