BKA: … denn sie wissen (nicht) was sie tun ! – Der 7. Tag im § 129 b Prozess gegen den kurdischen Politiker Ali Ihsan Kitay

Am 7. Verhandlungstag im Prozess gegen den kurdischen Politiker und Aktivisten Ali Ihsan Kitay sagte der leitende Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Struktur der PKK, Herr B., als Zeuge aus. In der Befragung des BKA Beamten durch die Verteidigung wurde deutlich, dass dieser kaum Wissen über die politische Situation in der Türkei, Kurdistan und den Mittleren Osten sowie die politische Entwicklung der PKK hat. Aus seiner Unwissenheit heraus bringt er jedoch in verantwortungsloser Weise Einschätzungen zur Struktur der PKK und der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) sowie deren politische Ziele in den Prozess ein.

„Dass die Einschätzungen eines derart unwissenden Polizeibeamten wesentlich dazu beigetragen haben, dass das Bundesministerium für Justiz (BMJ) eine bzw. meherere Verfolgungsermächtigungen gemäß § 129 b StGB (Mitgliedschaft oder Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung im Ausland) gegeben hat, ist mehr als besorgniserregend. Allein in anbetracht der undifferenzierten Herangehensweise des BKA Beamten Herr B. sollte der Prozess gegen Ali Ihsan Kitay, wie sämtliche weiteren Verfahren gegen KurdInnen gemaß § 129 b sofort ausgesetzt werden, da die Anklage und der Haftbefehl in wesentlichen Teilen auf dessen Einschätzungen beruhen“, kritisiert das „Bündnis Freiheit für Ali Ihsan“.

Zur Verdeutlichung eine kommentierte Beschreibung der Zeugenaussage:

Bezeichnend für das Selbstverständnis des leitenden „Strukturermittlers“ war die Antwort auf eine Frage der Verteidigung ob Teile des Inhalts eines von ihm angeblich ausgewertenen Dokuments, ihn nicht zum Nachdenken über seine Einschätzungen gebracht hätten. Dazu könne er nichts sagen, da es sich bei dem Dokument um einen ideologisch geprägten Text gehandelt habe, den er „ehrlich gesagt in großen Teilen nicht verstanden“ habe. Trotzdem maßt sich der BKA Beamte B. jedoch an die Struktur und die politische Entwicklung der PKK einschätzen zu können. Politisch oder verfolgungstechnisch motivierter Willkür wurden und werden auf diese Weise Tür und Tor geöffnet.

Herr B. musste bei Fragen der Verteidigung nach seinem Wissen über die politischen Konzepte der PKK und der KCK letzlich eingestehen, dass er bei seiner Beurteilung der Struktur hauptsächlich auf vor dem Jahr 2006 gesammeltes zusammengefasstes „Wissen“ weiterer BKA- Beamte zurückgegriffen hat und neuere Entwicklungen lediglich anhand einer bruchstükhaften Auswertung von Dokumenten der KCK einschätzt. Die Situation in der Türkei und die konkrete Umsetzung der Politik von PKK und KCK habe er nicht betrachtet, da ihm das nicht wichtig erschien. Er habe hauptsächlich nach Straftaten ermittelt, so der leitende Beamte. Klar geworden ist, dass seinerseits nur belastende Aspekte berücksichtigt und zum Inhalt seiner Vermerke in den Prozessakten wurden. Entlastende Aspekte dagegen ließ er nicht in seine Wertung einfliessen.

Weder von der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, noch von Menschenrechtsverletzungen oder der anhaltenden Assimilationspolitik sowie Rassismus gegenüber der kurdischen Bevölkerung und der Verleugnung der kurdischen Kultur in der Türkei wusste der BKAler. Auch über die mit 31 Abgeordneten im Parlament vertretenen Demokratischen Friedenspartei BDP konnte Herr B. keine Auskunft geben. Völkerrechtliche Aspekte und politische Hintergründe wären für seine Ermittlungen nicht relevant gewesen, so der Beamte.

Fälschlicher Weise stellt Herr B. die PKK mit der KCK gleich. Diese hätte schließlich die gleichen Gremienstrukturen und zumindest in kleinen Teilen ähnliches Personal. Ausführlich beschrieb der Beamte dass jährliche Parteiversammlungen stattfinden auf denen Beschlüsse gefasst werden, die dann von den Untergliederungen umgesetzt werden sollen. „Das ist ja genau wie bei der SPD“, kommentierten Zuschauer den Erkenntniswert dieser Schilderung. Von der Verteidigung über die inhaltlichen Ziele der KCK oder den Veränderungen in den Zielen der Politik der PKK gefragt musste der „Experte“ für die Struktur der Organisation passen.

Das die türkische Regierung seit 2009 in der Türkei 6 ParlamentarierInnen und 33 BürgermeisterInnen gemeinsam mit 8000 weiteren PolitikerInnen, JournalistInnen, MenschenrechtlerInnen und Frauenrechtlerinnen als vermeintliche KCK Mitglieder inhaftieren ließ konnte der Beamte ebenfalls nicht berichten. Eine Kampagne der BDP unter dem Motto „Edi Bese – Es reicht“ zur Freilassung Abdullah Öcalans ordnete Herr B., entsprechend seiner Unkenntnis über die BDP der PKK zu. Eine Kampagne der kurdischen Bewegung gegen Ehrenmorde und für Frauenrechte war ihm auf Nachfrage der Verteidigung gänzlich unbekannt. Auch über die Formierung des legalen Dachverbands Demokratischer Gesellschaftskongress DTK hatte der BKAler kein Wissen.

Über das Konzept der Demokratischen Autonomie konnte der für die Anklage mit entscheidende Zeuge ebenfalls nichts Näheres sagen. Er kam aber, ohne es begründen zu können, zu der Einschätzung, dass sich an den Konzepten der PKK seit Jahren nichts geändert hätte und diese auch mit dem Konzept der Demokratischen Autonomie noch immer einen eigenen Staat anstrebe. Kein Staat würde autonome Strukturen dulden, wie dies im Rahmen der Demokratischen Autonomie angerstrebt würde. Eigene autonome Parlamente, eine eigene Fahne und eine eigene Verwaltung würden Staaten grundsätzlich nicht dulden. Die Tatsache, dass ähnliche Konzepte im Baskenland, in Katalunien, in Schottland oder im Nordirak umgesetzt werden und sich in Syrien derzeit Ähnliches entwickelt, entzog sich der Kenntnis des leitenden Strukturbeamten, der auch in weiteren § 129 b StGB Verfahren gegen kurdische AktivistInnen die entscheidenden Einschätzungen gab und geben soll. Über Syrien wisse er aus dem Fernsehen. „Die PKK erhebt in den vier Teilen Kurdistans einen Alleinvertretungsanspruch“, hatte der Beamte im Vermerk in der Akte wenig fachkundig gedeutet. Auf die Frage der Verteidigung wie er zu dieser Einschätzung komme, musste Herr B. passen, nachdem er zuerst versuchte sich auf eine fehlende Aussagegenehmigung zu berufen. Faktisch richtig ist dagegen, dass die PYD, eine Schwesterpartei der PKK und die von dem Nordirakischen Kurdenpräsidenten Barzani dominierten Kräfte in einem Bündnis Teile der kurdischen Region Syriens verwalten und im Nordirak ebenfalls keinen Alleinvertretungsanspruch erheben.

Computer Dateien nicht verwertbar

In der Befragung der Verteidigung ergab sich ebenfalls, dass bei Computerdateien, die aus einem Rechtshilfeersuchen aus Belgien stammen, deren Echtheit aller Wahrscheinlichkeit nicht mit computerforensischen Standards entsprechenden Methoden erhoben wurden. Es ist den BKA- Beamten allem anschein nicht möglich gewesen, VerfasserInnen oder auch Originaldateinamen oder eine etwaige Veränderung des Ausgangsmaterials nachzuvollziehen. Wenn jedoch nicht sichergestellt wurde, dass die ausgewerteten Dateien den Originalen entsprechen, würde das dazu führen, dass die daraus gewonenen Erkenntnisse nicht verwertbar wären. Herr B. konnte dazu keine Auskunft geben, da er kein Fachmann für solche Details sei. Die Erkenntnisse aus den Computerdateien der Rechtshilfeersuchen flossen dagegen nicht unwesentlich in seine Gesamtwertung ein.

Der 5. und 6. Prozesstag

Am 5. Prozesstag sollte ein weiterer Zeuge des BKA aussagen. Da die BAW jedoch einen Tag vor der Befragung drei neue Aktenordner zur Befragung des Zeugen einreichte, wurde die Befragung auf Antrag der Verteidigung verschoben. Bereits zu Anfang des Verfahrens hatte Rechtsanwalt Carsten Gericke kritisiert, dass die BAW bewußt Akten zurückhalte, um diese in ihr passenden Momenten aus dem Hut zu zaubern. Dadurch werde die „Waffengleichheit“ im Verfahren verletzt, da der Verteidigung die nötige Zeit zur Vorbereitung und Besprechung mit dem Mandanten genommen werde.

Am 6. Prozesstag sagte der die Hausdurchsuchung und Ermittlungen gegen Ali Ihsan Kitay leitende Beamte des BKA aus. Auch dieser Beamte war nach Kräften bemüht Ali Ihsan Kitay zu belasten. Zu Hintergründen des Konflikts könne er nichts sagen, da dies nicht sein Aufgabenbereich gewesen sei. Der BKALer wertete u.a. ein Telfongespräch in dem Ali Ihsan Kitay einem Freund, der zu früh an einem Kundgebungsort war, riet einen Tee zu trinken, als hierarchisches Verhältnis und Beleg für die Kadertätigkeit des Beschuldigten.

Im Rahmen der Telefonüberwachung wäre auch ein Stille SMS gesendet worden, die das Handy „öffnet“. Ob es dazu einen richterlichen Beschluss gab, konnte der Zeuge nicht beantworten.

Bei der Hausdurchsuchung wurden mehrere USB Sticks und Computer gefunden – auf denen sich u.a. Fotos befanden, die Ali Ihsan Kitay in Guerilla Kleidung zeigen. Diese wären im Kandilgebirge im Nordirak entstanden, wo sich Ali Ihsan Kitay im Jahr 2009 aufgehalten habe, so der Ermittler. Das Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay hätte lange Zeit keine Priorität gehabt. Deshalb wäre es erst mehrere Jahre nach der vermuteten Kadertätigkeit zur Verhaftung gekommen. Straftaten konnte auch dieser Zeuge keine vorwerfen.

Die Verteidigung widersprach der Verwertung der bei der Hausdurchsuchung erhobenen Beweise, da diese weit nach der angeklagten Zeit (2007-2008) erst im Jahr 2011 stattfand und auf eine rechtswidrige, da zu unspezifische Weise angeordnet wurde. Das Gericht will zu einem späteren Zeitpunkt über diesen „Verwertungswiderspruch“ entscheiden.

Fazit

„Es ist deutlich geworden, dass jeder der bisher befragten Beamten des BKA lediglich den Auftrag hat sich mit den Angeklagten belastenden Teilaspekten zu beschäftigen. Hintergründe und politische, völkerrechtliche wie auch menschliche Konflikte, um die es im Prozess gehen sollte, werden strukturell bedingt ausgblendet. Dass sich Beamten, die maßgeblich verantwortlich für eine etwaige mehrjährige Inhaftierung von Menschen sein können nicht im Geringsten mit der inhaltlichen Ausrichtung und Entwicklung der von Ihnen kriminalisierten Organisation auskennen und sich hauptsächlich im Bereich der Feinbildlogik und Straftatsuche bewegen, ist systematisch bedingt und gewollt – jedoch völlig respekt- und verantwortungslos. Man fühlt sich an die im Film Brazil geschilderte Entmenschlichung im Rahmen einer paranoiden Verfolgungsmachinerie erinnert“, schildert dass Bündnis Freiheit für Ali Ihsan Eindrücke der Prozessbeobachtung. „Dass das BMJ auf einer so unfundierten Recherche eine Verfolgungsermächtigung gemäß § 129 b erteilt ist nicht hinnehmbar. Abgesehen davon ist § 129 b aufgrund der Aufhebung der Gewaltenteilung und gravierender juristischer und handwerklicher Fehler verfassungswidrig.“

Erschreckend ist ebenfalls, dass die 5 RichterInnen des OLG nicht von der Existenz der im türkischen Parlament vertretenen BDP wussten und immer wieder versuchten den sichtlich verantwortungslosen Ermittler, vor ihm unangenehmen Fragen zu „schützen“. Auch die RichterInnen zeigten bisher kein Interesse an der notwendigen Auseinandersetzung mit politischen Hintergründen und der Entwicklung der Ausrichtung der Politik der kurdischen Bewegung sowie völkerrechtlichen Aspekten.

Unsere Solidarität gegen Ihre Repression !
Freiheit für Ali Ihsan Kitay und alle politischen Gefangegen !
Frieden in Kurdistan !

Dieser Beitrag wurde unter Pressemitteilung, Prozessberichte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.