Pressemitteilung – § 129 b Verfahren gegen den kurdischen Aktivisten Ali Ihsan Kitay vor dem OLG in Hamburg – Auftakt eines der Pilotverfahren

Ressort: Innenpolitik/Justiz

Am Montag den 13. August beginnt vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg das Verfahren gegen den kurdischen Politiker und Aktivisten Ali Ihsan Kitay. Es handelt sich um eines von drei Pilotverfahren.

Seit dem 12. Oktober 2011 sitzt Ali Ihsan Kitay in Hamburg wegen des Vorwurfs der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ gemäß § 129b Strafgesetzbuch (StGB) in Untersuchungshaft. Konkrete Straftaten oder Anschläge in Deutschland werden ihm, wie mittlerweile fünf weiteren aufgrund § 129b inhaftierten Kurden, nicht vorgeworfen. Zur Last gelegt wird ihnen, leitende Funktionen innerhalb verschiedener PKK- Strukturen eingenommen zu haben.

Ali Ihsan Kitay saß bereits mehr als 20 Jahre in der Türkei im Gefängnis und wurde dort mehrfach gefoltert. Jetzt wird ihm vorgeworfen, sich von Mai 2007 bis Mitte September 2008 in Hamburg, Kiel, Bremen, Oldenburg und an weiteren Orten in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Nord-Irak als Mitglied an einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ beteiligt zu haben. In diesem Rahmen soll er als Kader der PKK und der CDK ab Mai 2007 das Gebiet Hamburg und ab Juni 2007 zusätzlich die Region Hamburg geleitet haben.

Der Aktivist der kurdischen Bewegung saß ohne rechtliche Grundlage dafür von Oktober 2011 bis Juni 2012 in Isolationshaft – und erst seitdem im Normalvollzug. Die Gespräche mit BesucherInnen finden hinter einer Trennscheibe im Beisein von Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) statt und werden filmisch aufgezeichnet. Die Post einschließlich der Verteidigerpost wird überwacht. Aufgrund der Dunkelheit seiner Zelle hat Ali Ihsan Kitay mittlerweile Sehstörungen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied am 28. Oktober 2010, dass zukünftig der Paragraph 129b des Strafgesetzbuches – »Mitgliedschaft in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland« – auch gegen die PKK und deren Nachfolgeorganisationen angewandt werden soll. Als eine solche Nachfolgeorganisation ist nach Ansicht der Bundesanwaltschaft (BAW) auch die KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) zu betrachten. Bisher erfolgten Verurteilungen gegen Kurdinnen und Kurden nach Paragraf 129 (Mitglied einer kriminellen Vereinigung) oder dem Vereinsgesetz. § 129 b StGB ermöglicht der Exekutive, maßgeblichen Einfluss auf die Strafverfolgung zu nehmen. Eine gerichtliche Überprüfung der Ermächtigung zur Verfolgung nach § 129 b, die vom Bundesministerium für Justiz gegeben werden muss, sowie auch der Gründe, warum die Ermächtigung erteilt wurde, ist nicht vorgesehen.

Die Verteidigerin von Ali Ihsan Kitay, Cornelia Ganten-Lange, kommentiert: „Sehenden Auges und politisch gewollt führt § 129 b StGB damit zur Politisierung und Instrumentalisierung der Strafjustiz – ein Novum deutscher Rechtsgeschichte. Es wird damit der Regierung ein breiter Spielraum gegeben, die strafrechtliche Verfolgung nach strategischen und außenpolitischen Interessen zu steuern. In der strafrechtlichen Literatur wird dies auch durchaus kritisch gesehen. Die `Libysche Nationale Befreiungsfront´ oder auch die `Freie Syrische Armee´ werden trotz der von ihnen eingesetzten Waffengewalt, nicht als `terroristische Vereinigung´ zur Begehung von Mord und Totschlag eingestuft, sondern seitens der Bundesregierung als legitime bewaffnete Organisationen angesprochen und unterstützt.“ In dem jetzigen Verfahren wird es u. a. darum gehen, ob der Kampf gegen lang anhaltendes Unrecht und um ein Selbstbestimmungsrecht legitim und völkerrechtlich zulässig und gerechtfertigt ist. Dies wird bezüglich der PKK, im Gegensatz zu den o.g. Organisationen, aus rein strategischen Gründen (siehe Hintergrund) seitens des Justizministeriums und des BGH verneint.

Für Rückfragen stehen Ihnen gerne das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan und Azadi e.V. zur Verfügung: azadi @ t-online.de

Hintergrund

Seit 2007 hat die türkische Regierung die Repression gegen die kurdische Bewegung in der Türkei auf allen Ebenen verstärkt. Folter und extralegale Hinrichtungen gegen Zivilpersonen haben besonders in den letzten drei Jahren zugenommen (1555 angezeigte Fälle von Folter im Jahr 2011); fast jeden Tag finden Militäroperationen in der Türkei und sogar völkerrechtswidrig im Nordirak statt. Seit den Kommunalwahlen 2009 ließ die Regierungspartei AKP mehr als 8000 kurdische Politiker und Aktivisten im Rahmen der „KCK Verfahren“ inhaftieren. Darunter 6 ParlamentarierInnen der pro-kurdischen Demokratischen Friedenspartei BDP, 33 BürgermeisterInnen, über 1000 Frauenaktivistinnen und mehr als 100 JournalistInnen. Gleichzeitig kam es zu Massakern an der Zivilbevölkerung: Im Jahr 2010 wurden bei Hakkari Gecitli 9 Menschen bei einem Anschlag von Sondereinheiten des Militärs getötet – 2011 starben bei einem in vollem Bewusstsein auf Zivilisten durchgeführten Bombardements 34 Menschen in Uludere/Roboskî. Weitere Kriegsverbrechen seitens der türkischen Armee aus der Zeit zwischen 2002 und 2011, brachten im November 2011 Angehörige von Opfern und AnwältInnen in der Bundesrepublik, gemäß Völkerstrafgesetzbuch in einer Anzeige gegen Ministerpräsident Erdogan und die letzten drei Generalstabschefs vor Gericht.

Bis 2011 hatte es zwar Gespräche von Regierungsvertretern mit VerteterInnen der PKK in Oslo und mit Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali (der eine Roadmap für den Frieden vorgelegt hatte) mit konkreten Ergebnissen gegeben. Diese wurden jedoch abgebrochen. Die AKP-Regierung wollte letztlich nicht hinnehmen, dass sie die Kontrolle über die kurdischen Provinzen des Landes auf politischem Weg nicht erlangen kann. Die kurdische Bewegung ist dort sehr gut in der Bevölkerung verankert. Mit dem Konzept der Demokratischen Autonomie wurden große Teile der Menschen politisiert und von der BDP in die Gestaltung der Gesellschaft einbezogen. Seit 2007, als der AKP bewusst wurde, dass diese Entwicklung nicht mehr umkehrbar ist, begann sie schrittweise mit der gewalttätigen Eskalation des Konflikts.

Der politische Hintergrund der Kriminalisierung mehrerer Kurdinnen gemäß § 129 b in der Bundesrepublik ist deutlich. Es geht im gesamten Mittleren Osten um den Zugang zu Öl und Gasressourcen und die Absicherung der Transportwege. Die Türkei – mit der zweitgrößten NATO-Armee – wird als Bündnispartner und zukünftige Energiedrehscheibe gesehen, die islamisch-autoritäre AKP-Regierung unter Erdogan als demokratisch orientiert verklärt und als bestes Rollenmodell für die gesamte Region definiert. Emanzipatorische und vor allem gut organisierte basisdemokratische Kräfte, die in der Bevölkerung verankert sind, wie die kurdische Bewegung und die PKK, sollen in einer strategisch wichtigen Region gerade im Hinblick auf die neokoloniale Neuaufteilung des Mittleren Ostens offenbar nicht geduldet werden.

Weil die Bundesregierung eine hauptsächlich auf Profit orientierte Außen- und Sicherheitspolitik betreibt, wird auch in der Bundesrepublik erneut mit erweiterter Repression gegen kurdische Aktivistinnen vorgegangen. In diesem Rahmen wird der kurdischen Bewegung und der kurdischen Bevölkerung das Widerstandsrecht gegen lang anhaltendes Unrecht, dokumentierte permanente Menschenrechtsverletzungen und den staatlichen Versuch der Vernichtung selbstbestimmter Kultur aberkannt. Obwohl die PKK seit mehr als 10 Jahren auf einen Friedensprozess orientiert, wird ihr Widerstand im Gegensatz zu den o.g. Beispielen aus rein geostrategischen Motiven als terroristisch definiert.

Neben Ali Ihsan Kitay sind weitere Kurden von Verfahren nach § 129 b StGB betroffen und angeklagt, so Mehmet A. und Ridvan Ö., deren Prozess am 13. September vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim eröffnet wird. Auch der im April dieses Jahres festgenommene Abdullah S. befindet sich in U-Haft und soll vor dem OLG Düsseldorf angeklagt werden. Gegen Vezir T. läuft ebenfalls ein Verfahren nach § 129 b StGB. Er wurde aus persönlichen Gründen haftverschont. Metin A. befindet sich aufgrund eines Haftbefehls der Bundesrepublik Deutschland in der Schweiz in Auslieferungshaft. Sedat K. wurde aufgrund eines Festnahmeersuchens der Bundesanwaltschaft am 25. Juli von Frankreich nach Deutschland überstellt, wo ihm ebenfalls ein Verfahren nach § 129 b StGB droht.

 

Wir fordern: Freiheit für Ali Ihsan Kitay und alle politischen Gefangenen und Frieden in Kurdistan !

 

Das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan und Azadi fordern zur Beobachtung des am 13. August beginnenden Prozesses und der Teilnahme an der Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude auf.

 

Prozessbeginn: 13. August 9.00 Uhr, OLG Hamburg, Sievekinplatz 1-3

die Kundgebung beginnt um 8.00 Uhr

 

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