Telefonüberwachung ? Ein unwürdiges Schauspiel – Der 11. und 12. Prozesstag

Am Montag, den 13. August hatte vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg das Verfahren gegen den kurdischen Politiker und Aktivisten Ali Ihsan Kitay begonnen. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft dem 47 jährigen Kurden vor, dass er als Kader der PKK ab Mai 2007 das Gebiet Hamburg und ab Juni 2007 zusätzlich die Region Hamburg geleitet haben soll. Straftaten in Deutschland werden ihm wie auch weiteren 5 Kurden die ebenfalls mit § 129 b StGB Verfahren konfrontiert sind nicht vorgeworfen.

Ohne nachvollziehbare Begründung vom Gericht abgelehnter Antrag

Zu Beginn des 11. Prozesstages, am Donnertsag, den 27.09., lehnten die 5 RichterInnen des OLG Hamburg einen Antrag der VerteidigerInnen von Ali Ihsan Kitay ab. Das Verfahren müsse eingestellt und der Mandant frei gelassen werden, da es an der Verfahrensvoraussetzung, einer rechtmäßig zustande gekommenen Ermächtigung zur Strafverfolgung durch das Bundesministerium für Justiz (BMJ) fehle, hatten die RechtsanwältInnen Cornelia Ganten Lange und Carsten Gericke bereits am 1. Prozesstag gefordert. Die dem Gericht vorliegende Ermächtigung sei unter einem derart „krassen Ermessensausfall“ (juristischer Fachbegriff) zustandegekommen, dass diese nur als nichtig betrachtet werden könne. Der „krasse Ermessensausfall“ liegt aus Sicht der Verteidigung u.a. darin, dass die Ermächtigung zur Verfolgung gemäß §129b StGB gegeben wurde, ohne menschenrechtliche und völkerrechtliche Aspekte in Erwägung zu ziehen.

Das BMJ habe lediglich die völlig einseitigen Ausführungen der BAW zur Grundlage genommen, in denen weder auf die Geschichte des Konflikts zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bewegung, noch auf die gesellschaftliche Realität in der Türkei sowie die kontinuierlichen staatlichen Gewaltakte gegen die kurdische Bevölkerung Bezug genommen werde. Jahrzehntelanges Leid und gravierende Menschenrechtsverletzungen bis hin zu extralegalen Hinrichtungen und Folter wären in der Entscheidungsfindung völlig ausgeblendet worden. In der Erklärung der Verteidigung wurde deutlich, dass in der Türkei in den letzten Jahrzehnten, bis Heute kontinuierlich schwerste Menschenrechts-verletzungen und Kriegsverbrechen stattfinden. Belegt wurde dies anhand von Zitaten aus Urteilen von europäischen und deutschen Gerichten, Berichten des Auswärtigen Amtes, Berichten von Amnesty International, Expertengutachten und Zeitungsartikeln. Besonders kritisiert wurde die Inhaftierung mehrerer tausend KurdInnen (darunter mehr als 200 gewählte PolitikerInnen und 50 AnwältInnen) seit 2009 und systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung, wie z.B. im Dezember 2011 in Roboski, nahe der türkisch-irakischen Grenze, wo 34 ZivilistInnen per Bombardement durch die türkisches Luftwaffe getötet wurden. Rechtsanwalt Carsten Gericke legte die historische Entwicklung und Kontinuietät der staatlichen Gewalt seit den 1990er Jahren an einer Vielzahl von weiteren Beispielen anschaulich dar.

Zudem geht die Verteidigung davon aus, das der Beamte des BMJ der die Ermächtigung unterzeichnete, Dr. Boehm, nicht dafür zuständig gewesen ist, da ihm die Kompetenz für eine derartige weitreichende politische Grundsatzentscheidung gefehlt habe. Diese Entscheidung hätte vielmehr auf höchster Ebene getroffen werden müssen.

Mit einem kurzen Beschluss lehnten die 5 RichterInnen diesen Antrag ab. Nachvollziehbar war die Begründung dieser Ablehnung nicht, auf den Ermessensausfall wurde nicht eingegangen – deutlich wurde lediglich, dass das Gericht offenbar mit allen Mitteln versuchen will die menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Aspekte des Konfliktes aus dem Prozess auszuklammern.

Tagelanges anhören von Telefongesprächen – ein unwürdiges Schauspiel

Stattdessen wurden, wie bereits letzte Woche den gesamten Prozesstag Telefongespräche kurdischer MigrantInnen aus Kiel und weiteren Städten angehört, anhand derer das Gericht offenbar Ali Ihsan Kitays Führungsfunktion innerhalb der PKK nachweisen möchte. Zu erfahren war am 11. Prozesstag u.a. von Menschen die Backgammon spielen und FreundInnen zu Weihnachten Bonbons und Kölnisch Wasser schenken. Auch über weitere Details aus dem Privatleben der Abgehörten war stundenlang zu hören.

Der Vorsitzende Richter und ein zweiter Richter lesen dazu die Übersetzung der Telefonate mit sichtlicher Wonne und oft fehlender Ernsthaftigkeit im Hörspielformat, nachdem die überwachten Originale vom Tonband abgespielt wurden. „Wenn man soviel Energie, Zeit und staatliche Mittel, wie zur Überwachung und Inszenierung der Telefongespräche aufgewandt wird, für die Konfliktlösung und die Entwicklung von Frieden in Kurdistan aufwenden würde, gäbe es längst keinen Krieg mehr;“ kommentiert eine Prozessbeobachterin das Geschehen. „Statt technokratisch und anhand der „Hoheit“ über die Gestaltung des Prozesses zu versuchen nachzuweisen, dass ein Mensch sich im Rahmen des Widerstands gegen Tyrannei und Unrecht engagiert hat, sollten die RichterInnen lieber mit den Verfahrensbeteilgten den Dialog über die Ursachen des Konflikts suchen. Eine solche Herangehensweise wäre einer Demokratie mit humanistischen Werten würdig.“

Das ist jedoch systematisch nicht gewollt – die Justiz und ihre Hierarchien sind nicht demgemäß strukturiert. Bei einer solchen Herangehensweise müsste sowohl die menschenverachtende Politik der türkischen Regierung wie auch die Verantwortung der bundesdeutschen Regierungen u.a. anhand von Waffenexporten sowie sicherheitspolitischer und militärischer Zusammenarbeit mit dem Unrechtsregime in der Türkei benannt und analysiert werden.

Anders lässt sich kaum erklären warum mehrere Tage lang Telfongespräche angehört werden, die sich in 20 Minuten zusammenfassen ließen, während fast sämtliche Dokumente und Stellungnahmen der kurdischen PolitikerInnen, Organisationen und Parteien zwischen den Prozesstagen, ohne Teilnahme der Öffentlichkeit im so genannten Selbstleseverfahren (das nach Willen des Gerichts durchgezogen werden soll) gelesen werden – und danach ohne weitere Diskussion als im Prozess behandelt gelten. Auch, dass als Hauptbelastungszeugen BKA Beamte gehört werden, die weniger Wissen zum Thema haben als jede/r durchschnittliche ZeitungsleserIn, ist Ausdruck einer solch undifferenzierten und politisch motivierten Herangehensweise. Der Konflikt wird den Beteiligten – in diesem Fall Ali Ihsan Kitay durch ein bürokratisiertes und formalisiertes Gerichtsverfahren enteignet. Er wird so zum „Objekt“ von Verfolgungslogik und Repression.

Dass die Richter beim Verlesen der Telefonüberwachungen in Hörspielform immer wieder in Lachen verfallen und sich benehmen wie bei einer Theaterprobe entspricht schlicht nicht dem Ernst des Verfahrens und der Situation. Ali Ihsan Kitay befand sich 20 Jahre in türkischen Gefängnissen und wurde mehrfach schwer gefoltert – und ist jetzt (nach 1. Jahr U-Haft) erneut von langer Haft bedroht.

„Die Menschen in den kurdischen Provinzen der Türkei müssen aufgrund zunehmender Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Kriegsverbrechen durch staatliche Kräfte täglich um ihre Freiheit und ihr Leben fürchten, während die RichterInnen des OLG als bisherigen Hauptgegenstand des Verfahrens selber eine „Schauspieleinlage“ – wie die Opas in der Muppetshow – inszenieren und Zeugen des BKA sich anmaßen Beurteilungen der kurdischen Organisationen abgeben zu können, obwohl sie kaum Wissen von diesen und dem gesamten Konflikt haben. Ein solches Vorgehen ist einfach nicht menschenwürdig. Das der Antrag bezüglich der Ermächtigung durch das Justizministerium abgelehnt wurde ist verantwortungs“, kritisiert das Bündnis Freiheit für Ali Ihsan.

12. Prozesstag: Urteilsverlesung – The Same procedure as last day Miss Sophie? Yes, the Same procedure as every day!

Am 12. Prozesstag verlasen die RichterInnen des OLG Hamburg ein Urteil des OLG Düsseldorf aus einem § 129 (Bildung einer Kriminellen Vereinigung in Deutschland) Prozess gegen einen vermeintlichen Deutschlandverantwortlichen der PKK von 2008. Die meisten Erkenntnisse aus diesem Urteil bezogen sich auf einen Zeitraum weit vor 2007. Sämtliche Aspekte hatten lediglich mit Geschehen in Deutschland zu tun. Dem entsprechend kritisierte die Verteidigung, dass in einem § 129 b Verfahren wesentlich die Situation in der Türkei und in Kurdistan bewertet werden müsse – da es in dem Paragrafen um eine vermeintliche terroristische Vereingung im Ausland geht. Deshalb könnten die Aspekte des Urteils auch im Selbstleseverfahren eingeführt werden – da sie nicht direkt den Konflikt, um den es in dem Prozess gehen sollte betreffen.

Das Gericht bleibt dagegen bisher konsequent bei seiner Linie sämtliche Stellungnahmen der kurdischen Organisationen und Parteien im Selbstleseverfahren einzuführen – und stattdessen formalbürokratisch in bester Aktenzeichen XY Manier Kriminelle PKKlerInnen an die Wand zu malen, die in die heile bundesdeutsche Welt einbrechen und so schwere „Straftaten“ begehen, wie z.b. das von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannte Newrozfest zu organsieren oder viel zu Reisen und sich für die Menschenrechte in der Türkei und die Rechte der KurdInnen zu engagieren.

Das verlesenen Urteil war weitgehend in einem solchen Stil gehalten. Der Rest des Urteils von 2008 beruht zum großen Teil auf Erkenntnissen der BKA Beamten, die bereits gegen Ali Ihsan Kitay aussagten und dabei offenbarten, dass sie kaum Wissen über die PKK, die kurdischen Parteien und die Situation in der Türkei haben. Zudem wurde seitens Gerichte u.a. der Besitz mehrerer Telefonkarten und Handys sowie das Verabreden zum Kaffetrinken als konspirativ gewertet.

„Das ganze wirkt auf mich wie ein Schauprozess. Die Richterinnen und Richter haben wohl kein Interesse daran sich selber mit der Situation der Menschen in Kurdistan, den Beweggründen für ihr Handeln oder mit Ali Ihsan Kitay zu beschäftigen und berufen sich deshalb auf veraltete Urteile ohne Bezug zum eigentlichen Konflikt und dem Konstrukt des § 129 b“, empört sich zu Recht eine Prozessbeobachterin. Es wird immer deutlicher in welchem Ausmaß der Prozess politisch motiviert ist – und jenseits der Absicht einer Konfliktregulierung – oder positiver gesellschaftlicher Perspektiven jenseits von Unterdrückung und Repression – geführt wird.

Als Bündnis Freiheit für Ali Ihsan fordern wir:

Freiheit für Ali Ihsan Kitay und alle politischen Gefangenen!

Weg mit den § 129 a und b!

Frieden in Kurdistan!

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