Computerdateien aus Belgien nicht nachvollziehbar – weiterer Baustein der Anklage bricht zusammen – Richter_innen sind befangen

Der 21.-23. Prozesstag im §129 b Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay

Die Richtigkeit von belastenden Computerdateien aus Belgien ist nicht nachvollziehbar – Weiterer Baustein der Anklage bricht zusammen – RichterInnen sind befangen

Am Montag, den 13. August hat vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg das Verfahren gegen den kurdischen Politiker und Aktivisten Ali Ihsan Kitay begonnen. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft dem 47 jährigen Kurden vor, dass er als Kader der PKK in den Jahren 2007 und 2008 die Region Hamburg geleitet haben soll. Straftaten in Deutschland werden ihm wie auch weiteren 5 gemäß § 129 b StGB angeklagten Kurden nicht vorgeworfen. Das Verfahren ist bis Ende Dezember auf mehr als 30 Prozesstage terminiert.

Am 21. Prozesstag sagte erneut der BKA Beamte Herr B. aus, der bereits am 7. Verhandlungstag als Zeuge vernommen wurde. In der jetzigen Befragung ging es um die Verwertung von Computerdateien aus Belgien. Die VerteidigerInnen von Ali Ihsan Kitay, Cornelia Ganten Lange und Carsten Gericke erhoben Einspruch gegen die Verwertung dieser für die Anklage mitentscheidenden Dateien. Zum einen ist nicht geklärt ob die Computerdaten in Belgien bundesdeutschen Standards gemäß erhoben und gesichert wurden. Des Weiteren kann aufgrund der intransparenten Praxis des BKA, namentlich des Zeugen Herr B., nicht nachvollzogen werden, ob diejenigen Dateien, die ausgewertet wurden, den Dateien auf den Festplatten, die bei einer Razzia in Belgien im Jahr 2010 beschlagnahmt wurden, entsprechen. Im Rahmen polizeilicher Zusammenarbeit und eines späteren Rechtshilfeersuchens an die Behörden in Belgien, waren mehrere Dateien und USB Sticks an das BKA übergeben worden. Es entspricht computerforensischen Standards in der BRD, dass vor Gericht verwendete Dateien nicht verändert werden dürfen und entsprechend geschützt werden müssen. Um das nachzuprüfen greifen ComputerspezialistInnen auf so genannte Hash – Werte zurück. Diese stimmen im Fall der aus Belgien erhobenen Computerdateien, die nun im Prozess gegen Ali Ihsan Kitay verwendet werden sollen, in 3 von 7 Fällen nicht überein.

Zudem hatte der BKA Beamte Herr B. zunächst nur von im Rahmen polizeilicher Zusammenarbeit überlieferten Dateien Übersetzungen fertigen lassen, die jedoch in das Verfahren gegen Ali Ihsan Kitay eingeführt wurden. Es dürfen demgegenüber aus völkerrechtlichen Gründen nur Dateien aus einem offiziellen Rechtshilfeersuchen vor Gericht verwendet werden – oder solche für die eine Genehmigung der jeweiligen Behörden im Herkunftsland vorliegt.

In der Befragung von Herrn B. wurde deutlich, dass dieser selbst wenig Wissen über Computerforensik hat und entsprechend unachtsam mit den Dateien umging. Zudem hat der leitende Beamte des BKA sich ständig in Widersprüche verstrickt. Der Fakt, dass die bei 3/7 der Dateien weder die Hash – Werte noch die Datenmenge mit denen der Originale übereinstimmt, brachte letztendlich auch die 5 RichterInnen des OLG Hamburg – nach 7 Stunden Verhandlung und Klärung der Sachlage – dazu nachzudenken. Der Verteidigung war noch am Morgen des Prozesstages seitens der Bundesanwaltschaft (BAW) und der RichterInnen vorgeworfen worden, den Prozess mit dem Verwertungswiderspruch lediglich verzögern zu wollen. Doch statt nun zu entscheiden, dass diese Daten nicht verwertbar sind, versucht das Gericht, die offensichtlichen Fehler oberflächlich handzuhaben, statt wie nötig, ein weiteres Rechtshilfeersuchen anzuordnen. Nach einer unverbindlichen Nachfrage bei den belgischen Polizeibehörden, die erklärten, dass es sich um die gleichen taten handeln müsse, entschieden die Richter am 23. Prozesstag, dass die Dateien, entgegen den juristischen Standards in der BRD, in den Prozess einfließen sollen.
In der Befragung des leitenden BKA Beamten Herr B. wurde bereits am 7. Verhandlungstag deutlich, dass dieser kaum Wissen über die politische Situation in der Türkei, Kurdistan und den Mittleren Osten sowie die politische Entwicklung der PKK hat. Er hatte völlig einseitig ermittelt und nur belastende Momente gesammelt. Er wusste zudem nichts über die Autonomieregion im Nordirak – und über die Situation in Syrien lediglich aus dem Fernsehen – maßte sich jedoch trotz seines Unwissen an, die Politik der kurdischen Bewegung abschließend bewerten zu können. Dessen Einschätzungen haben daraufhin wesentlich dazu beigetragen, dass das Bundesministerium für Justiz (BMJ) eine bzw. mehrere Verfolgungsermächtigungen gemäß § 129 b StGB (Mitgliedschaft oder Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung im Ausland) gegeben hat. Herr B. musste bei Fragen der Verteidigung nach seinem Wissen über die politischen Konzepte der PKK und der KCK letztlich eingestehen, dass er bei seiner Beurteilung der Struktur hauptsächlich auf vor dem Jahr 2006 gesammeltes zusammengefasstes „Wissen“ weiterer BKA- Beamte zurückgegriffen hat und neuere Entwicklungen lediglich anhand einer bruchstükhaften Auswertung von Dokumenten der KCK einschätzt. Die Situation in der Türkei und die konkrete Umsetzung der Politik von PKK und KCK habe er nicht betrachtet, da ihm das nicht wichtig erschien. Er habe lediglich nach Straftaten ermittelt, so der leitende Beamte am 7. Prozesstag.

Insgesamt wird in dem Prozess gegen Ali Ihsan Kitay deutlich, dass jede/r der BeamtInnen des BKA offensichtlich nur ein kleines Mosaikteil ermitteln soll. Keiner der bisher Befragten fühlte sich seinem Gewissen soweit verpflichtet, dass er versucht hätte auch nur annähernd zu verstehen, welchen politischen Hintergrund der Widerstand der kurdischen Bevölkerung und somit auch die Ermittlungen haben – und warum er selbst so einseitig ermittelt. Diese Vorgehensweise ist offenbar systematisch beabsichtigt – denn ansonsten würde den Beamten die unmenschliche Dimension ihres Handelns bewusst. Am 21. Prozesstag wurde nun deutlich, dass das BKA auch bei der Auswertung von Computerdateien aus Belgien ohne computerforensische Regeln und völlig fahrlässig agiert hat.

Jeweils ca. 30 Menschen beobachteten den 21., 22. und 23. Prozesstag und zeigten sich solidarisch mit Ali Ihsan Kitay. Die Verteidigung Kitays belegte in Anträgen am 23. Prozesstag erneut, dass Dokumente von einem Dolmetscher des BKA falsch und belastend übersetzt wurden. Dieser hatte in hunderten Dokumenten neben vielen weiteren offensichtlich absichtlich belastenden Fehlern das Wort „eylem“, dessen Bedeutung „Aktion“ ist, als „Anschlag“ übersetzt. In einem weiteren Antrag wurde deutlich, dass die Beamten des BKA mehr als 30 Unfälle als Anschläge bezeichneten und dabei absichtlich Informationen zurückgehalten haben. Das Konstrukt, die Freiheitsfalken TAK wären eine Unterorganisation der PKK, hatte sich im Prozess als völlig unhaltbar erwiesen. Selbst der diesbezügliche „Experte“ des BKA musste eingestehen, dass es lediglich „Indizien gibt, die darauf hinweisen könnten, dass die TAK der PKK zugehörig sind.“ Die daraufhin vorgetragenen Indizien entstammten sämtlich nicht überprüften Informationen aus dem Internet und waren zum Teil sachlich falsch. Die RichterInnen wollen ihren Äußerungen im Prozess zufolge jedoch offensichtlich trotzdem an dem Konstrukt festhalten.

Erneut zeigt sich auf diese Weise die Voreingenommenheit und Ungenauigkeit der RichterInnen. Jede notwendige rechtliche Abwägung muss dem Gericht seitens der Verteidigung Ali Ihsan Kitays abgerungen werden – sei es eine völkerrechtliche, eine bezüglich der gravierenden Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in der Türkei oder wie am 21. Prozesstag eine Formalität, die jedoch entscheidenden Einfluss auf das Verfahren nehmen kann. Die RichterInnen gehen dann gerade soweit wie nötig auf das Erforderliche ein, um nicht zu offensichtlich rechtswidrig zu handeln.

Unsere Solidarität gegen Ihre Repression !
Freiheit für Ali Ihsan Kitay und alle politischen Gefangenen !

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