Pressemitteilung: BKA – oder auch – „Bewußt Keine Ahnung“ haben

Der 9. und 10. Prozesstag im § 129 b Verfahren gegen den kurdischen Aktivisten Ali Ihsan Kitay

Am Montag, den 13. August hat vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg das Verfahren gegen den kurdischen Politiker und Aktivisten Ali Ihsan Kitay begonnen. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft dem 47 jährigen Kurden vor, dass er als Kader der PKK in den Jahren 2007 und 2008 die Region Hamburg geleitet haben soll. Straftaten in Deutschland werden ihm wie auch weiteren 5 gemäß § 129 b StGB angeklagten Kurden nicht vorgeworfen. Das Verfahren ist bis Ende Dezember auf mehr als 30 Prozesstage terminiert.

Am 9. Prozesstag, wurde der Beamte des Bundeskriminalamts (BKA), Herr E., als Zeuge befragt. Wie bereits sein Vorgesetzter, der Leiter der Strukturermittlungen, Herr. B., hatte auch dieser Beamte wenig Wissen über die Realität in der Türkei und Kurdistan sowie die Ziele und Ausrichtung der PKK. Er habe zu den Anschlägen und dem Aufbau der Guerilla der PKK, den Volksverteidigungskräften HPG, ermittelt so der Beamte. Die politischen Hintergründe vermeintlicher „Anschläge“ – oder ob im Vorfeld von „Vergeltungsaktionen“ ZivilistInnen von der türkischen Armee getötet wurden zu ermitteln, zu beachten oder zu benennen, sei nicht sein Auftrag gewesen. „Was die türkische Armee gemacht hat, war für meine Ermittlungen egal. Das war nicht mein Auftrag, mich damit zu beschäftigen“, so der ca. 30 jährige Beamte. Bei der Befragung durch die VerteidigerInnen Ali Ihsan Kitays, Cornelia Ganten Lange und Carsten Gericke wurde deutlich, dass Herr E. völlig einseitig belastend und sehr ungenau ermittelt hat. Auf 2/3 der Fragen der Verteidgung zu Vorkommnissen in der Türkei oder der Struktur der kurdischen Bewegung sowie politischen Aspekten hatte Herr E. keine Antwort.

Der Beamte hielt die in der Bundesrepublik erscheinende Tageszeitung Yeni Özgür Politika (YÖP) für das Presseorgan der PKK – und baute seine Vermerke in den Akten hauptsächlich auf Artikel aus der Zeitung und die Homepage der HPG auf. Artikel hätte er sich, wenn sie denn von Anschlägen handelten, zu denen er zum Teil auch Gefechte zwischen der Armee und der HPG zählte, von einem Dolmetscher übersetzen lassen. Weitere Beamten würden die Zeitung und das Internet nach relevanten Dokumenten durchsehen – oder er selbst mit einem Dolmetscher die Überschriften der Publikationen durchgehen und dann zu übersetzende Texte auswählen. Zeitungen aus der Türkei würde er nicht kennen – und hätte diese auch nicht ausgewertet. Ein Abgleich der Informationen von der Homepage der HPG oder aus der Zeitung YÖP mit Meldungen des türkischen Generalstabs, Publikationen der Regierung oder aus weiterer Presse in der Türkei hielten die Beamten des BKA nicht für nötig. Ob die PKK über eigene Presseorgane verfüge wusste Herr E. ebenfalls nicht zu berichten. Ein Organigram der Struktur der HPG habe er aus den Akten eines Prozesses in Dresden übernommen. Wer es gefertigt hat und wann es gefertigt wurde, könne er nicht sagen.

Waffenstillstandsabkommen der HPG hat der Beamte zwar gesammelt und benannt, nicht jedoch den Inhalt der entsprechenden Erklärungen der HPG genau gelesen oder analysiert. Ebenfalls nicht beantworten konnte der Ermittler, ob die PKK oder KCK auf einen eigenen Staat orientiere und ob und mit welchem Ziel und Ergebnis Friedensgespräche zwischen der türkischen Regierung und Abdullah Öcalan sowie der PKK stattgefunden haben. Auch inwieweit die Waffenstillstands-abkommen eingehalten wurden – und warum sie zu bestimmten Zeitpunkten erneuert oder aufgehoben wurden konnte der Zeuge nicht sagen. „Ob die in dem Organigram beschriebene Struktur so richtig ist“, fragte Rechtsanwalt Gericke. „Davon gehe ich aus. (…) Wer jetzt genau die Waffenstillstände beschlossen hat – die KCK oder die HPG – das weiss ich nicht, da ich ja nicht bei Versammlungen der KCK oder der HPG anwesend war. (…) Was in der Road Map von Abdullah Öcalan steht weiss ich nicht. (…) Wenn ich diese Erklärung der KCK so in den Akten niedergelegt habe, dann habe ich sie wohl gelesen – an den Inhalt kann ich mich aber jetzt nicht mehr erinnern – mein Auftrag war ja auch nicht mich mit den politischen Zielen der Organsiation zu beschäftigen“, so Herr E.. „Aber das Organigramm ist doch sehr aussagekräftig.“ Das gesammelte Unwissen hinderte den Beamten jedoch nicht daran in seinen Aktenvermerken Beurteilungen über die Ausrichtung und Struktur der HPG abzugeben.

Auffälig ist, dass die bisher geladenen Zeugen des BKA sämtlich fast kein Hintergrundwissen über die Lebensrealität der kurdischen Bevölkerung, das Völkerrecht, die Entwicklung der Ausrichtung der türkischen Regierung und die Ausrichtung der PKK und der KCK, sowie die Entwicklungslinien des Konflikts haben. „Wer sich nur eine Woche in das Thema einliest, hat sicher weit mehr Wissen als die befragten Beamten. Das die sich anmaßen solche Bewertungen abzugeben und über das Leben von Menschen – über etwaige langjährige Haftstrafen – mitzuentscheiden, ist verantwortungslos und unwürdig“, so eine Prozessbeobachterin.

Jede/r der BeamtInnen des BKA hat offensichtlich nur ein kleines Mosaikteil zu ermitteln. Keiner der bisher Befragten fühlte sich seinem Gewissen soweit verpflichtet, dass er versucht hätte auch nur annähernd zu verstehen, welchen politischen Hintergrund der Widerstand der kurdischen Bevölkerung und somit auch die Ermittlungen haben – und warum er selbst so einseitig ermitteln soll. Diese Vorgehensweise ist offenbar systematisch beabsichtig – denn ansonsten würde den Beamten die unmenschliche Dimension ihres Handelns bewusst.

Die 5 RichterInnen des OLG Hamburg tragen ebenfalls zur Einseitigkeit des Prozesses gegen Ali Ihsan Kitay bei, da sie zumindest bisher völkerrechtliche, menschenrechtliche und politisch analytische Aspekte außen vor lassen und immer wieder versuchen mit Hilfe von Verweisen auf – im Selbstleseverfahren eingeführte Akten (hauptsächlich politische Texte und Erklärungen der kurdischen Akteure) – die VerteidigerInnen dabei behindern Fragen zu diesen Aspekten stellen. Im Selbstleseverfahren eingeführte Akten werden nur von den Prozessbeteiligten gelesen und gelten dann als öffentlich verhandelt. Die notwendige Auseinandersetzung mit dem Konflikt sowie das Recht auf eine dynamische Verteidigung werden so verhindert. Zudem hindert das Vorgehen der RichterInnen die Öffentlichkeit daran sich einen vollständigen Eindruck von der Anklage und dem Prozessgeschehen machen zu können.

Statt im Verlauf des Prozesses den eigentlichen Konflikt, um den es geht, zu analysieren und die Handlungsweisen der AkteurInnen – also auch die von Ali Ihsan Kitay zu verstehen – um dann zu beurteilen wer, was, zu welchem Zeitpunkt warum getan hat – enteignen die RichterInnen den Konflikt, indem sie das Verfahren formalistisch gestalten und die wesentlichen Inhalte ausblenden. Dem entsprechend wurden am 10. Prozesstag studenlang Aufzeichnungen von überwachten Telefongesprächen angehört, die belegen sollen, dass Ali Ihsan Kitay eine leitende Funktion einnahm. Bereits zum dritten mal ging es u.a. darum, wann ein Grill für ein Fest von Kiel nach Hamburg gefahren wird. Drei der 5 RichterInnen verfolgten das Geschehen, entsprechend des hohen „Erkenntniswertes“ der Gespräche, zwischenzeitlich immer wieder mit geschlossenen Augen. Besonders bemerkenswert: eines der Tonbänder ließ schon die Stimme eines der Telefonierenden hören, lange bevor dieser gewählt hatte. Auch nächste Woche sollen weitere Telefongespräche gehört werden.

Die Verteidigung Kitays stellte bereits am 4. Prozesstag den Antrag das Verfahren auszusetzen. Das OLG Hamburg solle eine Entscheidung des Bundesverfasungsgerichtes einholen, ob § 129 b gegen das Grundgesetz verstößt. Durch § 129 b werde die Gewaltenteilung aufgehoben, weil das Bundesjustizministerium entscheidet wer nach diesem Pragrafen verfolgt wird. Politischer Willkür und Verfolgung aus außenpolitischen Motiven werde so Tür und Tor geöffnet. Zudem wurde § 129 b nach dem 11.9. 2002 in einem Schnellverfahren eingeführt und weist daher schwere handwerkliche und juristische Fehler auf. Die Ermittlungen des BKA sind aufgrund des Unwissens der Beamten wertlos. Das Verfahren muss sofort ausgesetzt – alle gemäß §129b inhaftierten freigelassen werden.

Unsere Solidarität gegen ihre Repression !

Freiheit für Ali Ihsan Kitay und alle politischen Gefangenen! Frieden in Kurdistan !

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